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25.07.2013

Wahrnehmung des Klimawandels Klimawandel findet auch in unseren Köpfen statt. Jeder von uns nimmt das Thema je nach persönlichem oder beruflichem Hintergrund unterschiedlich wahr.

Kommunikation über den Klimawandel

Klima und Klimawandel sind soziale Konstrukte. So jedenfalls sieht das die Kommunikationswissenschaft. Weder Klima noch Klimawandel sind für den einzelnen Menschen sinnlich wahrnehmbar. Wir können den Temperaturanstieg, gemessen über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg, nicht fühlen. Wir bräuchten ein ganzes Leben, um nach Dekaden sagen zu können, ob der Meeresspiegel ansteigt, und auch das könnte ein einzelner Mensch nur für einen oder wenige Orte beobachten. Klima ist ein Phänomen, das mittels komplexer Beobachtungen über große Räume und lange Zeitstrecken hinweg ermittelt wird, aus riesigen Datenmengen aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen und auf der Basis komplexer Techniken und mathematischer Berechnungen. Aus der Perspektive von Laien liegen das Klima und der Klimawandel außerhalb unserer direkten Lebenswelt und jenseits unserer biographischen Horizonte ([1] Moser, 2010; [2] Neverla & Schäfer, 2012).

© Doug Cannell/iStock

© Doug Cannell/iStock

Das Wissen vieler Menschen über den Klimawandel entsteht daher kommunikativ. Es wird von der Wissenschaft generiert und fließt in verschiedene kommunikative Kontexte ein. Individuell erfahren und bearbeiten wir dieses Wissen in persönlichen Gesprächen, vor allem aber mit und durch die Medien ([3] Carvalho, 2010; [4] Stamm, Clark, & Eblacas, 2000). Wir rezipieren journalistische Berichte in den tagesaktuellen Medien Zeitung und Zeitschriften, Funk und Fernsehen; aber auch fiktionale Medien wie Dokumentarfilme und Spielfilme prägen unser Bild (vgl. [5] Lofgren & Nordblom, 2010); und last but not least spielen alle möglichen Formen der interaktiven Kommunikation in ‚social media’ eine zunehmend wichtige Rolle ([6] Schäfer, 2012). Durch all diese Medien und kommunikativen Formen erlangen wir Wissen, verarbeiten und interpretieren es (oder vergessen es auch wieder), und auf dieser Basis entstehen unsere Meinungen und Verhaltensbereitschaften. Dies gilt für die einzelnen Menschen (z.B. [7] Taddicken & Neverla, 2011), aber auch für den öffentlichen Diskurs und letztlich für politische Entscheidungen ([8] Weingart, Engels, & Pansegrau, 2000).

Themensetzung und Deutung

Die soziale Konstruktion und Diffusion von Themen - und damit auch des wissenschaftlich generierten Themas Klimawandel – folgt immer auch kommunikativen Regeln. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung zeigt, dass dabei besonders zwei Effekte bedeutsam sind: das “Agenda Setting“ genannte Platzieren von Themen auf der öffentlichen Agenda, von dem man weiß, dass es auch die Themenhierarchien des Publikums beeinflusst; und das als “Framing“ bekannte Deuten, Einordnen und Bewerten von Themen.

Medien tun beides, und zeichnen dabei nicht einfach wissenschaftliche Beschreibungen des Klimawandels nach. Sie folgen vielmehr eigenen Regeln, mittels derer sie Themen beobachten und zur Berichterstattung auswählen, mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit bedenken und auf medienspezifische Weise darstellen. Deshalb wird über die IPCC-Sachstandsberichte in Qualitätszeitungen eher auf der Wissenschafts- und Politikseite und unter einer sachlichen Überschrift berichtet; in einer Boulevardzeitung wie der „Bild“ hingegen unter der Schlagzeile „Unsere Planet stirbt“ (wie 2007 geschehen).

Empirische Untersuchungen – auch unseres Teams an der Universität Hamburg – vollziehen nach, wie das Thema Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten zu einem (fast) globalen Thema wurde ([9] Schäfer, Ivanova, & Schmidt, 2011). Dies gilt zunächst und vor allem für die Berichterstattung in Medien der westlichen Länder, vor allem in Westeuropa, Nordamerika und Australien. Seit den 2000er Jahren stieg die mediale Berichterstattung aber auch in anderen Ländern an, etwa in den ‚emerging economies’ wie Indien, Brasilien, Mexiko und China. Insgesamt ist die Berichterstattung über Klimaveränderungen seit den 1970er Jahren angewachsen - wenngleich nicht linear, sondern mit etlichen Auf- und Abbewegungen. Das Thema wurde also auf die öffentliche Agenda gesetzt.

Abb. 1: Medienaufmerksamkeit für das Thema Klimawandel in unterschiedlichen Ländern der Welt im Zeitraum 1996-2010. Erstellt von der Forschungsgruppe „Media Constructions of Climate Change“, KlimaCampus Hanburg.

Abb. 1: Medienaufmerksamkeit für das Thema Klimawandel in unterschiedlichen Ländern der Welt im Zeitraum 1996-2010. Erstellt von der Forschungsgruppe „Media Constructions of Climate Change“, KlimaCampus Hanburg.

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Wann und warum kommt es zur medialen Klima-Berichterstattung?

Höhepunkte der medialen Berichterstattung gab es zu politischen Ereignissen wie den Klimagipfeln, denen ein hoher Nachrichtenwert zugeschrieben wird. Vor allem COP-15 in Kopenhagen im Jahr 2009 bildete einen herausragenden Höhepunkt. Andere Anschubereignisse wie Naturkatastrophen oder Extremwetterereignisse hatten eher regionale Effekte auf die mediale Berichterstattung, mit wenigen globalen Ausnahmen wie Hurricane Kathrina bei New Orleans im Jahre 2005 oder der Tsunami in Südostasien Ende 2004.

An diesen Beispielen sieht man zugleich: Medienberichterstattung folgt in ihrer Aufmerksamkeit eigenen Gesetzen. Denn ein wissenschaftlich belegbarer direkter Zusammenhang zwischen solchen Extremereignissen und dem Klimawandel gibt es oft gar nicht oder nur in schwacher Form ([10] Schäfer, M. S., Ivanova, A., & Schmidt, A., 2012). In der Medienbetrachtung aber werden solche Zusammenhänge hergestellt, und wirken effektiv. „Are we making hurricanes worse? The Impact of Global Warming“ titelte im Oktober 2005 das “Time“-Magazine und spekulierte in der Titelgeschichte über Zusammenhänge zwischen dem Sturm und dem globalen Klimawandel.
 Titelbild "Time-Magazine"

Der globale Klimawandel wird lokal betrachtet und ‚domestiziert’

Aber nicht nur das Agenda Setting fällt weltweit unterschiedlich aus. Auch das Framing des Klimawandels wird in Medien unterschiedlicher Länder lokalisiert und ‚domestiziert’, wie die Kommunikationsforschung sagt. Denn Medien suchen jeweils nach Themen und Perspektiven, die für die Menschen in ihrer Gesellschaft, in ihrer Lebenswelt, in ihrem Alltag verstehbar und brauchbar sind.

So folgt die Berichterstattung oft nationalen oder kulturellen Spezifika, wie sie auch in der nationalen Politik erkennbar sind. Die politische und die mediale Klimadebatte in Indien etwa interpretiert die Sachlage eher aus einem postkolonialen Blickwinkel ([11] Billett, 2010). In den reichen Industrieländern reicht das Spektrum der Sichtweisen von eher technokratischen Perspektiven wie etwa in den Niederlanden bis zu moral-ökologischen Schwerpunkten in Schweden (vgl. [12] Eide, Kunelius, & Kumpu, 2010). Deutschland gilt als das Land des ‚Alarmismus’ in der Klimaberichterstattung [8]. In Australien lässt sich eine Art Kulturkampf zwischen den konservativen Thinktanks, die oft der dominierenden Kohleindustrie verbunden sind, und stärker ökologisch orientierten Kritikern beobachten ([12] Speck, 2010).

Verzerren die Medien die Befunde der Klimaforschung?

Mediale Beschreibungen des Klimawandels weichen also teilweise vom wissenschaftlichen Sachstand ab. Das ist unstrittig der Fall, aber nicht per se problematisch. Es muss sogar so sein. Denn Medien sind ebenso wenig die Vermittler der Wissenschaft, wie sie die Übersetzer der Politik sind. Medien folgen eigenen Regeln. Würden sie Wissenschaft 1:1 weitergeben, würden wir als Laien es kaum verstehen. In einer arbeitsteiligen, hoch komplexen und informationsübersättigten Welt muss Wissen, auch Wissen aus der Wissenschaft, von den Medien nach Wichtigkeit priorisiert, teils hinsichtlich seiner möglichen Folgen zugespitzt und in verständlicher Form aufbereitet werden. Medien müssen sogar Stimmen jenseits des Mainstreams Gehör geben, denn es könnte ja sein, dass diese Recht haben. Das ist allerdings ein Drahtseilakt, weil hierbei die Glaubwürdigkeit der Quelle und die Stichhaltigkeit der Argumente sehr sorgfältig geprüft werden müssen, und weil man sich manches Mal nach der Prüfung gegen eine Veröffentlichung entscheiden muss.

Dass in diesem Prozess auch Medien eigensinnig sind, dass sie Fehler machen, mitunter ökonomischen Gesetzmäßigkeiten oder gar ideologischen Interessen folgen, ist unbestritten. Ebenso klar ist aber, dass mitunter auch – teils hochrangige – Wissenschaftler zugespitzte Ergebnisse oder nicht klar durch wissenschaftliches Wissen gedeckte politische Ziele formulieren. In diesen Fällen ist ein kritischer, sachverständiger Journalismus hilfreich, ja unerlässlich.

Vor diesem Hintergrund ist der Bedeutungszuwachs des Internets und der social media ambivalent zu beurteilen. Einerseits bringen diese Medien enorme Vorteile mit sich: Dort findet sich ein enormer Reichtum an Informationen [8]. Experten können über Blogs, in Foren und sozialen Netzwerken direkt mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten, und eine Reihe von Wissenschaftlern nutzen dies bereits ([14] Krauss, 2012; [15] Pielke Jnr, 2012). Und das Wirkungspotenzial von Online-Kommunikation ist im Vergleich zu Massenmedien recht hoch, weil Menschen im Internet Inhalte oft gezielter ansteuern. Andererseits ist die Qualität von Online-Kommunikation – wenn man wissenschaftliche Maßstäbe anlegt – insgesamt nicht hoch ([16] N. Gavin, 2009; [17] N. T. Gavin & Marshall, 2011). Es fehlen oftmals sachkundige Experten wie Journalisten, die Informationen prüfen und Berichtenswertes von Falschinformationen trennen. Die Online-Debatte über den Klimawandel ist auch deshalb polarisierter und fragmentierter als die Auseinandersetzungen in Massenmedien ([18] Trench, 2011).

Die Kommunikations- und Medienforschung beobachtet diese Phänomene. Und sie kann – neben ihren Aufgaben in der Grundlagenforschung – auch (Fehl)Entwicklungen aufzeigen. Klimaforschung, Journalismus und Kommunikationsforschung befinden sich in einem Prozess wechselseitiger, kritischer Beobachtung.

Autoren
Autoren Neverla
Prof. Dr. Irene Neverla
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
FB Sozialwissenschaften
Universität Hamburg

Autoren Schaefer
Prof. Dr. Mike S. Schäfer
Lehrstuhl für Wissenschafts-, Krisen- und Risikokommunikation am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich,
ehem. Leiter der CliSAP Research Group 'Media Constructions of Climate Change'
Quellen