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11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Umsiedlung in Alaska: Wie der Klimawandel das Leben an den Küsten des nördlichsten Staates der USA bedroht

Mit einer Fläche von rund 1,6 Millionen km² ist Alaska der größte Staat der USA. Die Küste erstreckt sich über rund 53.000 km, von denen die meisten von der indigenen Bevölkerung bewohnt werden (Marino, 2010). Diese stellt mit etwa 109.000 Einwohnern 13 Prozent der Bevölkerung des Staates (USGOA, 2009) verteilt auf 213 Dörfer (Stand: Juli 2011) (U.S. Census Bureau, 2014).

In den dortigen Gemeinden variiert die Einwohnerzahl im Jahresverlauf aufgrund saisonabhängiger Zu- und Abwanderungen für Jagd und Fischfang sowie zur Ernte saisonaler Früchte (Hamilton et al., 2012). Nur dieser traditionelle Wechsel zwischen einzelnen Orten ermöglicht es den Menschen, unter den extremen natürlichen Bedingungen Alaskas für ihren Lebensunterhalt zu sorgen (McNeeley, 2012). So lebten die indigenen Ureinwohner ursprünglich als Voll-Nomaden, bevor sie durch die Regierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezwungen wurden, sich dauerhaft an einem festen Ort niederzulassen. Dies machte sie von Hilfsgeldern und der modernen Infrastruktur (z. B. Gesundheitszentren und Schulen), die dort für sie bereitgestellt wird und damit von einem Aufenthalt an einem einzigen Ort abhängig. Das traditionelle Wissen und die Lebensweise der Nomaden rückten damit in den Hintergrund (Marino, 2010; Bronen, R. & Chapin, F., 2013a).

Küstenerosion in Alaska © USGS / Benjamin Jones

Küstenerosion in Alaska © USGS / Benjamin Jones

Mit Blick auf den Klimawandel zählt Alaska zu den Regionen der Welt, die aufgrund zunehmender Veränderungen und einer immer schlechteren Vorhersagbarkeit der Wetterbedingungen am stärksten betroffen sind. Das Innere des Landes wird als einer der sich am schnellsten erwärmenden Orte der Erde beschrieben (McNeeley, 2012; S. 835). Ein allgemeiner Anstieg der mittleren Temperaturen (zwischen zwei und drei Grad Celsius) wird bereits beobachtet, was längere und mildere Winter mit weniger extrem kalten Temperaturen zur Folge hat (ACIA, 2005). Ein zunehmender Rückgang des Meereises, Schmelzen des Permafrosts (letzteres führt zu Bewegungen des Untergrundes und dessen Erosion), Veränderungen in der Wasserführung der Flüsse, zunehmende Sturmaktivitäten und Überflutungen der Küsten wurden in Alaska als Auswirkungen des Klimawandels identifiziert. Letztere beiden Ereignisse treten am häufigsten auf und betreffen 86 Prozent der Dörfer des Staates (USGOA, 2009). Die Veränderungen gefährden zudem die traditionelle Lebensweise und die Ernährungssicherheit der einheimischen Gemeinden (ACIA, 2004). Alaskas Ureinwohner mussten erkennen, dass der Klimawandel schneller voranschreitet, als sich der Mensch anpassen kann (ACIA-Report 2005).

Seit 1978 wurden 228 Hochwasserereignisse an den Küsten gezählt, die in 119 Gemeinden zur Ausrufung des Notstandes führten. In jüngster Zeit wurde eine weitere Steigerung bei der Zahl der Überschwemmungen beobachtet: rund 40 Prozent aller seit 1978 aufgetretenen Ereignisse fallen zwischen die Jahre 2000 bis 2008. Mit 23 Hochwasserereignissen hält das Jahr 2005 den bisherigen Rekord. Das U.S. Government Accountability Office (USGAO) erklärte 31 Dörfer als unmittelbar gefährdet durch Klimawandel bedingte Erosion und Hochwasser (USGAO, 2009).

© US Government Accountability Office (GAO)

© US Government Accountability Office (GAO)

Die Umsiedlung der Bevölkerung in höher gelegene Gebiete in der Nähe der ursprünglichen Dörfer gilt als Hauptanpassungsstrategie, um Leben und Infrastruktur gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu schützen (Bronen, R. & Chapin, F., 2013a). Mindestens 12 der 31 bedrohten Dörfer in Fluss- und Küstengebieten entschieden sich, ganz oder teilweise ihren Standort zu wechseln; bei vier von diesen (das heißt für etwa 0,4 Prozent der Bevölkerung des Staates) besteht unmittelbarer Handlungsbedarf: Kivalina, Newtok, Shaktoolik und Shishmaref (USGOA, 2009). Für die Zukunft werden auch in anderen Dörfern größere Anpassungen oder Umsiedlungen erforderlich sein (Huntington et al., 2012). Bildvergrößerung

Aufgrund einer Erosionsanalyse aus dem Jahr 2006 werden diesen vier Dörfern schätzungsweise 10 bis 15 Jahre bleiben, bevor ihr aktueller Standort vollständig durch Erdrutsche unbewohnbar sein wird. Die geschätzten Kosten für die Umsiedlung jedes einzelnen Dorfes bewegen sich in einer Höhe von 80 bis 200 Millionen US-Dollar (USGOA, 2009).

Nach Bronen, R. & Chapin, F. (2013a, S. 9321) sind bei dem Umsiedlungsprozess drei wichtige Schritte zu beachten:

(i) Identifizierung eines neuen Standortes für das Dorf,
(ii) Zustimmung ansässiger Wähler zu dem Umsiedlungsort, und
(iii) Nachweis der Notwendigkeit der Umsiedlung und der Eignung des neuen Standortes.

Bronen and Chapin (2013b) führen darüber hinaus einige Strategien an, wie eine Anpassung an den Klimawandel erreicht werden kann:

  • Feststellung aktueller klimabezogener Risiken und Verwundbarkeit sowie Projektion zukünftiger Veränderungen.
  • Anpassung an aktuelle Klimaextreme, für die weitere Zunahmen angenommen werden.
  • Identifizierung der aktuellen Anpassungskapazitäten und Suche nach sinnvollen Alternativen.
  • Integration von ökologischen und gesellschaftlichen Belangen in den Umsiedlungsprozess.
  • Vereinbarkeit der Anpassungsmaßnahmen mit weiteren anderen gesellschaftlichen Zielen.
  • Kooperation der zuständigen Vertreter und Behörden, um Kommunikation, Zusammenarbeit und gemeinsames Lernen zu ermöglichen
  • Suche nach Wegen einer interdisziplinären, fächerübergreifenden Zusammenarbeit zur Unterstützung lokaler Entscheidungsträger bei der Entwicklung möglicher Handlungsstrategien.

Dieser Prozess erscheint zunächst einfach. Sobald jedoch ein neuer Standort für die Umsiedlung gefunden ist, ist aufgrund der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen unklar, welche Schritte zu folgen haben. Bis 2013 hatte somit nur das Dorf Newtok mit seiner Umsiedlung begonnen (Bronen & Chapin 2013a).

Anders nämlich als bei witterungsbedingten Extremereignissen gibt es für die Umsiedlung von Gemeinden, die durch Klimawandelfolgen bedroht werden, noch keine gesetzlichen Maßgaben. Nach US-amerikanischer Gesetzgebung für Soforthilfen und Notlagen gelten Dürreperioden als die einzig langsam einsetzende Witterungsänderung, die sich als "Katastrophe" deklarieren lässt. Nur dann kann die Federal Emergency Management Agency (FEMA) als zuständige US-Bundesbehörde tätig werden. Küstenerosion und Überschwemmungen, die die Dörfer von Alaskas Ureinwohnern bedrohen, sind demnach nicht im Mandat der FEMA enthalten (Bronen. & Chapin 2013a).

Es werden zwar durch Bundesstellen Finanzierungsmittel zur Katastrophenvorsorge zur Verfügung gestellt. Die Dörfer der Ureinwohner sind jedoch aufgrund der Höhe der erforderlichen Investitionen zur Umsiedlung ihrer weitverteilten und relativ kleinen Bevölkerungsgruppen möglicherweise nicht förderfähig. Ein weiteres Problem für die Siedlungen ist, dass diese, sobald sie sich zur Umsiedlung entschlossen haben, keine Fördermittel zum Erhalt und Wiederaufbau ihrer sturmgeschädigten Infrastruktur mehr erhalten (Bronen und Chapin, 2013a). Insgesamt gab es bereits einige Investitionen in die Infrastruktur zur Kontrolle der Küstenerosion sowie zum Hochwasserschutz, Stürme werden aber weiterhin die öffentliche Infrastruktur und Häuser beschädigen (Bronen und Chapin2013a; USGAO, 2009).

Fallstudie: Das Dorf Shishmaref

An dem Dorf Shishmaref sollen exemplarisch die Bedeutung der Auswirkungen des Klimawandels und die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Alaskas Küstensiedlungen erläutert werden.

Die Siedlung befindet sich auf der Insel Sarichef in West-Alaska. Seine Bewohner gehören der Kigiqitamiut-Gemeinde an, die Teil der Inupiaq-Völker ist. In früheren Zeiten wechselten die Inselbewohner aufgrund der natürlichen Bedingungen und jahreszeitlichen Veränderungen zwischen zwei Orten: den Sommer und Herbst verbrachten sie im Landesinneren, im Winter und im Frühjahr hielten sie sich an der Küste auf (Marino, 2010).

Die Insel Sarichef war schon immer anfällig für Stürme und Erosion. Diese Phänomene waren jedoch unproblematisch, da die Küste im Herbst und im Sommer unbewohnt war. In den letzten Jahrzehnten traten infolge des anthropogenen Klimawandels jedoch verstärkt Überschwemmungen und Erdrutsche auf. Heute sind insbesondere Herbststürme für die Inselbewohner problematisch, da diese eine enorme Wellenkraft und Bodenerosion erzeugen. (Marino, 2010).

Die ersten dauerhaften Infrastrukturen auf der Insel wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, um die Menschen dazu zu bewegen, sich niederzulassen, ohne hierbei jedoch das Wissen und die Lebensweisen der Einheimischen zu berücksichtigen. Dem Bau der Schule kommt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung zur Sesshaftigkeit zu. Er ließ die Kigiqitamiut zu dauerhaft ansässigen Küstenbewohnern werden. Das machte sie also anfällig für die Herbststürme (Marino, 2010) und abhängig von den Subventionen des Bundes und des Landes, um ihre Bedürfnisse zu decken (Huntington et al., 2012).

© NOAA / Nome Nugget Newspaper

© NOAA / Nome Nugget Newspaper

In den letzten Jahrzehnten wurden mehrere große Hochwasser- und Sturmereignisse registriert (1973, 1974, 1988 und 1997), die die Insel trafen. Alle lösten starke Erosionsprozesse (mit dem Abtrag von Bodenschichten in bis zu 40 Metern Tiefe), Beschädigungen von Deichen und Verlagerungen von Häusern aus, was stets die Ausrufung des Katastrophenfalles zur Folge hatte (Marino, 2010). Um die Auswirkungen von Stürmen und Überschwemmungen auf die Region einzudämmen, wurden in den letzten Jahrzehnten etwa 16 Millionen US-Dollar in den Küstenschutz der Insel investiert (Bronen, R. & Chapin, F., 2013a).

Aufgrund seiner hohen Verwundbarkeit wird die Möglichkeit einer Umsiedlung des Dorfes seit den 1970er Jahren als einzige langfristige Anpassungsstrategie diskutiert, bisher aber ohne eindeutiges Ergebnis. Die geschätzten Kosten für die Umlagerung von Shishmaref liegen bei 180 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2002 stimmten die Einwohner für die Umsiedlung des gesamten Dorfes aufgrund der Anfälligkeit an seinem gegenwärtigen Standort. Es entstand ein Lokalkomitee, das für die Auswahl eines neuen Standortes verantwortlich war. Im Jahr 2004 wählte die Gemeinde einen neuen Standort aus, der aufgrund des dortigen eisreichen Permafrosts aber wieder verworfen wurde. Studien zeigen, dass nach vielen Jahren und zahlreichen Bemühungen kaum Fortschritte im Umsiedlungsprozess erzielt wurden. Hierfür werden insbesondere hohe Umsiedlungskosten, ein Mangel an politischem Engagement und institutionelle Veränderungen verantwortlich gemacht (Marino, 2010; Bronen& Chapin2013a).

Wenn keine vollständige Umsiedlung des Dorfes stattfindet, wäre die Bevölkerung gezwungen, in städtischere Umgebungen wie Anchorage abzuwandern, was schließlich ihre gesamte Lebensweise beeinflussen würde (Marino, 2010).

Ein Faktor, der die Verwundbarkeit des Dorfes Shismaref - wie auch anderer Dörfer in der Region - weiter erhöht, ist die Abängigkeit von Fördermitteln der amerikanischen Bundesregierung und des Staates Alaska, die aufgrund des geringen Gemeindeeinkommens fließen (Huntington et at, 2012).

Schließlich zeigt der Fall Shishmaref, dass volkswirtschaftliche Benachteiligung und Ungleichheiten in der Entscheidungsmacht gegenüber dem anthropogenen Klimawandel verwundbar machen.

Nach Huntington et al. (2012, S. 67) scheitert ein dringend erforderlicher Umsiedlungsprozess einer vom Klimawandel bedrohten Siedlung in Alaska an dem fehlenden politischen Willen, Geld für die Folgen des Klimawandels auszugeben.

Beispiel für einen extremen Küstenrückzug in Alaska

© GAO / Netwok planning Group

© GAO / Netwok planning Group

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Autorin
Tania Guillen
Tania Guillén Bolaños
Fachhochschule Köln

Referenzen, weiterführende Literatur