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11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Klimawandel, Migration und Konflikt

In frühen Einschätzungen der möglichen Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gewaltkonflikten spielte Migration eine bedeutende Rolle. Es wurde oftmals vermutet, dass eine große Zahl von Menschen ihre Heimat infolge des Klimawandels verlassen müsste. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) warnte zum Beispiel in seinem ersten Sachstandsbericht im Jahr 1990: “the gravest effects of climate change may be those on human migration as millions are displaced by shoreline erosion, coastal flooding and severe drought” (IPCC 1990, S. 20). Auf dieser Grundlage lagen Vorhersagen schwerer Konflikte in aufnehmenden Regionen, sowohl innerhalb der durch den Klimawandel beeinträchtigten Länder als auch auf internationaler Ebene, nahe. Den Kernpunkt bildete die Überzeugung, dass der Klimawandel zu einer Ressourcenknappheit führen würde, wodurch wiederum sowohl Migration als auch Konflikte ausgelöst würden. Als 2007/2008 die Diskussionen über die Auswirkungen des Klimawandels zumindest in den wirtschaftlich fortgeschrittenen westlichen Ländern vermehrt durch Sicherheitsbedenken geprägt wurden, war die Angst vor einer „Überflutung“ der Vereinigten Staaten und von Westeuropa durch eine Vielzahl von Menschen aus armen Ländern ein zentraler Aspekt für die "Versicherheitlichung" des Klimawandels (Brzoska und Oels 2011).

Die wissenschaftliche Forschung zu Zusammenhängen zwischen Klimawandel, Migration und Konflikt stellt derartige Vorhersagen jedoch in Frage. Theoretische Grundlagen und empirische Belege sind dürftig. Dies bedeutet nicht, dass der Klimawandel irrelevant für zukünftige Migrationsbewegungen ist, einschließlich derer, die mit Konflikten in Verbindung gebracht werden könnten. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Migration und Konflikt komplex sind und einfache und sensationsheischende Schlussfolgerungen nicht zulassen. Demzufolge ist es wenig überraschend, dass die Verknüpfung von Klimawandel, Migration und Konflikt nicht zu den Risiken zählt, auf die im fünften Sachstandsbericht des IPCC, der im Jahr 2014 veröffentlicht wurde, hingewiesen wird (IPCC 2014, Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger).

Umwelt und Konflikt

Über 180.000 Sudanesen sind vor der Gewalt in der Provinz Darfur geflüchtet und haben die Grenze zur abgelegenen Wüstenregion des östlichen Tschad überquert. © UNHCR / H.Caux

Über 180.000 Sudanesen sind vor der Gewalt in der Provinz Darfur geflüchtet und haben die Grenze zur abgelegenen Wüstenregion des östlichen Tschad überquert. © UNHCR / H.Caux

Die moderne Forschung zu den Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Konflikt begann in den 1970er Jahren als ein Thema der Friedens- und Konfliktforschung. Der Schwerpunkt lag auf der Umweltzerstörung und der Verknappung erneuerbarer Ressourcen als Ursache für Gewaltkonflikte. Auch wenn es eine zentrale Erkenntnis dieses Forschungsansatzes ist, dass Umweltfaktoren selbst keine Gewaltkonflikte hervorrufen, fanden die Wissenschaftler doch zahlreiche Hinweise, dass Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit zur Entstehung von Gewaltkonflikten beitragen können, wenn diese mit anderen Konfliktauslösern zusammentreffen, etwa ethnischer Polarisation, schwachen politischen Strukturen sowie einem niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstand (Bächler et al. 1996, Homer-Dixon 1999, Kahl 2006). Spätere Autoren, die den Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit und Gewaltkonflikten untersuchten, äußerten sich dagegen weitgehend skeptisch gegenüber dieser angenommenen Kausalität. Dies gilt insbesondere für Wissenschaftler, die quantitative Verfahren für vergleichende Analysen großer Fallzahlen verwenden (de Soysa 2002; Buhaug et al. 2010; Østby et al. 2011).

Die Rolle von Migrationsbewegungen

Migration wurde in der Literatur zur Umweltsicherheit als ein mögliches Bindeglied zwischen Umweltzerstörung und Gewaltkonflikten beschrieben. Ein besonderes Augenmerk wurde auf Konflikte zwischen Hirten und Bauern gelegt. So wurde bereits in den 1990er Jahren darauf hingewiesen, dass Konflikte in der Region Darfur im Sudan stark durch den Mangel an Niederschlägen beeinflusst wurden (Bächler et al. 1996). Es wurde allgemein davon ausgegangen, dass Migration in aufnehmenden Regionen zur Ressourcenknappheit beitragen kann. In aufnehmenden Regionen mit schwachen Strukturen und Institutionen zur Verhinderung oder Überwindung von Ressourcenknappheit sei daher mit Gewaltkonflikten zu rechnen (Homer-Dixon 1999; Reuveny 2008).

Die Literatur, die sich mit der Verknappung natürlicher Ressourcen beschäftigt, ignorierte die Komplexität der Folgen von Migration zwar nicht, schenkte Umweltfaktoren aber besondere Aufmerksamkeit. Die hohe zugemessene Bedeutung steht jedoch im Widerspruch zu vielen Migrationsstudien. Die moderne Migrationsforschung lehnt die Behauptung, dass Migration zu Konflikten führt oder diese begünstigt, mit Ausnahme besonderer Fälle, wie etwa der „militarisierten Migration" mit grenzüberschreitenden Bewegungen bewaffneten Kämpfer, weitgehend ab (Muggah 2006). Besonders skeptisch steht ein großer Teil der Migrationsforschung der Annahme gegenüber, dass Konflikte um Ressourcen in aufnehmenden Regionen zu Gewalt führen. Es ist zwar nicht schwierig, derartige Fälle zu finden, diese scheinen jedoch nicht sehr häufig aufzutreten (Raleigh / Urdal 2007).

Der Klimawandel als zusätzlicher Faktor

In jüngerer Zeit führte das Interesse an wissenschaftlichen Aussagen zu den Folgen der globalen Erderwärmung für Krieg und Frieden zu einer Erweiterung der früheren Forschungen zur Verknappung natürlicher Ressourcen. Ein breiteres Spektrum an Umweltthemen wurde berücksichtigt. So wurden zum Beispiel Extremwetterereignisse und die daraus resultierenden Katastrophen ebenso wie langsam einsetzende Umweltveränderungen in die Betrachtungen einbezogen. Die Ressourcenverknappung stand aber weiterhin im Fokus der Untersuchungen. Die anfänglichen Behauptungen zum Konfliktpotenzial der Verknappung natürlicher Ressourcen spiegelten sich daher auch in den frühen Forschungen zur klimabedingten Migration wider. Klimabedingte Migration wurde als eine der wahrscheinlichsten Szenarien für den Ausbruch und/oder die Eskalation von Konflikten im Zusammenhang mit dem Klimawandel gesehen (Barnett 2003; Smith/Vivekananda 2007). Entsprechende Hinweise finden sich insbesondere in der Literatur, die auf politische Entscheidungsträger ausgerichtet ist (CAN 2007, WBGU 2007, UNGA 2009).

Genauere Analysen führten jedoch erneut zu Differenzierungen, sowohl im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und den Ursachen und Folgen der Migration als auch in Bezug auf die Auswirkungen der Migration in aufnehmenden Regionen.

Erste Schätzungen, dass eine große Zahl von Menschen – bis zu 250 Millionen bis zum Jahr 2050 – in den kommenden Jahrzehnten infolge des Klimawandels umsiedeln werden, stützen sich auf nur wenige, umstrittene Annahmen und ignorieren Anpassungsmaßnahmen. Letztere wurden jedoch als ein wichtiger Faktor bei der Ausgestaltung von Migrationsbewegungen angesichts von Ressourcenknappheit identifiziert.

Bei Überlegungen zum Klimawandel sind insbesondere drei Migrationsmuster von Bedeutung:

1) Bevölkerungsbewegungen, die durch Strategien zur Existenzsicherung angetrieben werden. Derartige Bevölkerungsbewegungen treten bereits relativ häufig auf der ganzen Welt auf. Sie betreffen einzelne Haushalte, erfolgen kurzfristig und sind von kurzer Dauer. Die Hauptursache ist das Bestreben, Einkommen zu erzielen. Es wird folglich davon ausgegangen, dass Umweltveränderungen derartige Bevölkerungsbewegungen zwar beeinflussen können, jedoch nur im Zusammenhang mit einer Vielzahl anderer Faktoren, insbesondere Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensgrundlagen sowohl in möglichen abgebenden als auch aufnehmenden Regionen.

2) Flucht oder "erzwungene" Migration. Diese kann auftreten, wenn die Lebensumstände unterhalb des Erträglichen gesunken sind. Migration ist jedoch auch in dieser Situation nicht die einzige Option, insbesondere wenn internationale Aufmerksamkeit und Hilfe bereitgestellt werden. Black und andere (Foresight 2011) argumentierten in einer wichtigen Studie, dass vor allem arme Bevölkerungsgruppen hier in eine "Falle" geraten können, da Migration ein gewisses, wenn auch geringes Maß an Ressourcen erfordert.

3) Abwanderung aus Regionen, in denen die materielle Lebensgrundlage infolge des Klimawandels verloren geht, etwa kleine Inseln und Küstengebiete. Kostspielige Anpassungsmaßnahmen sind möglich und bereits geplant, augenscheinlich aber vor allem in den reicheren Ländern.

Neuere Untersuchungen heben zur Frage der Wahrscheinlichkeit von Konflikten in aufnehmenden Regionen infolge klimabedingter Migration abermals die Bedeutung angemessener Strukturen und Institutionen hervorgehoben. Eine wichtige aktuelle Ergänzung der Debatte ist, dass Migration die wirtschaftliche Situation in aufnehmenden Regionen verbessern kann (Foresight 2011). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Migration durchaus auch ein gelungener Anpassungsmechanismus an veränderte Umweltbedingungen sein kann, indem durch Rücküberweisungen (remittances) das Familieneinkommen aufgebessert und die Gemeinschaft etwa von landwirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängiger wird. Dieses Kapital kann sogar für die Umsetzung von Klimaanpassungsstrategien verwendet werden. Außerdem kann Migration die Wissensbasis und die Fähigkeiten einer Familie oder Gemeinschaft so verbessern, dass neue oder zusätzliche Anpassungsmechanismen entwickelt und umgesetzt werden können.

Direkte und indirekte Kausalität

Der Stellenwert der zentralen Elemente der Beziehung zwischen klimabedingter Migration und Gewaltkonflikten ist zwar noch umstritten, zur potentiellen Kausalität wurde jedoch eine Reihe von Modellen entwickelt. Der WBGU hat einen Ansatz entwickelt, der Klimawandel direkt mit Konflikt in Verbindung bringt, aber gleichzeitig persönliche, Gruppen- und gesellschaftlichte Einflussfaktoren identifiziert (WGBU 2007). Gleditsch, Nordås und Salehyan (2007) entwickelten zwei kausale Ansätze, die von Umweltbelastung über Migration zu Konflikt führen können. Bei dem direkten Ansatz resultieren aus Umweltbelastung direkt Migrationsbewegungen in eine neue Region, in der nachfolgend Spannungen auftreten. Bei dem indirekten Ansatz führen Umweltveränderungen zu Ressourcenkonflikten in dem ursprünglichen Lebensraum, wodurch Migrationsbewegungen in eine neue Region ausgelöst werden, die dann ebenfalls Spannungen hervorrufen. So können Umweltbelastungen sowohl "Umweltflüchtlinge" als auch Flüchtlinge im herkömmlichen Sinne herbeiführen (Gleditsch et al. 2007, 4f). Die Autoren gehen davon aus, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Flüchtlingsgruppen hinsichtlich ihrer Bedeutung für Konflikte gibt. Flüchtlinge im herkömmlichen Sinn neigen gemäß dem indirekten Ansatz dazu, etablierte Konfliktstrukturen, Waffen, Ressourcen, Organisationsstrukturen und gewalttätige Ideologien aus dem voran gegangenen Ressourcenkonflikt in die aufnehmende Region einzuführen, wodurch das Risiko organisierter Gewalt in ihrem neuen Lebensraum steigt. Direkte Umweltmigranten sind im Allgemeinen dagegen nicht an bestehenden Gewaltkonflikten beteiligt, nehmen sich selbst nicht als Opfer von Unterdrückung und Verfolgung wahr und streben nicht nach Vergeltung, da Umweltveränderungen grundsätzlich als höhere Gewalt außerhalb jeder Kontrolle einer Regierung oder anderer Gruppen verstanden werden (Gleditsch et al. 2007, 6f.).

Diese und andere Modelle sind zwar plausibel, müssen aber durch empirische Belege untermauert werden. Empirische Beweise sind bislang rar. Zwei große Untersuchungen zu Umweltkatastrophen, Migration und Konflikt kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen (Nel und Righarts 2008; Slettebak 2012). In ähnlicher Weise sind die Befunde für den langsam einsetzenden Klimawandel, die auf einen Zusammenhang mit Migration und Konflikt hindeuten, gemischt. Dies ist möglicherweise auf das bisher begrenzte Ausmaß des Klimawandels zurückzuführen, obwohl umfangreiche Dürren, Überschwemmungen und lokale Umweltveränderungen auch in der Vergangenheit aufgetreten sind und somit für eine Analyse herangezogen werden könnten. Ein anderer, plausiblerer Grund ist die Einbettung sowohl der Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration als auch derjenigen zwischen Migration und Gewaltkonflikten in größere Konflikt- und Transformationsprozesse, sowohl in der Heimat als auch in den aufnehmenden Regionen, wodurch eine isolierte Betrachtung der einzelnen Wechselwirkungen schwierig wird. Dies gilt sowohl für Einzelfälle, die, wie nachfolgend dargestellt, gegenläufige Entwicklungen zeigen können, als auch für länderübergreifende Analysen.

Das Fehlen einer belastbaren theoretischen Grundlage sowie schlüssiger empirischer Belege bedeutet nicht, dass der Klimawandel kein wichtiger Auslöser von Gewaltkonflikten infolge von Migration sein kann. Das heutige Wissen stützt diese Behauptung jedoch nicht.

Widersprüchliche Fallstudien

Bangladesch und Nordindien liefern gute Beispiele für den Zusammenhang zwischen umweltbedingten Migrationsbewegungen und bewaffneten Konflikten (Reuveny 2008). Das Ansiedeln von bengalischen Hochwasser- und Sturmopfern auf bereits besiedeltem Land führte in den Chittagong-Bergen zu einem langwierigen Guerillakrieg. Auch die indischen Bundesstaaten Assam und Tripura erlebten Gewalt zwischen bengalischen Einwanderern und der einheimischen Bevölkerung. Gründe finden sich sowohl in einer Störung des ethnischen Gleichgewichts der Region als auch in einer Konkurrenz um die Ressourcen zwischen Einheimischen und Einwanderern. Flüchtlinge, die Unterstützung durch den Staat genießen und daher mitbestimmen, die sich von der einheimischen Bevölkerung hinsichtlich ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität und/oder Religion unterscheiden, die früher bereits Gewaltkonflikte mit der aufnehmenden Gemeinschaft erlebt haben und die langfristig in der aufnehmenden Region siedeln wollen, scheinen gewaltanfälliger zu sein als andere.

Ein umgekehrter Fall, bei dem Migrationsbewegungen, die zumindest teilweise mit einer Verschlechterung der Umweltbedingungen zusammenhingen, zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen und Senkung des Konfliktpotenzials beigetragen haben, wurde für Gemeinden in Nordwestafrika beschrieben (Scheffran, Marmor und Sow 2012). Es wurde gezeigt, dass Migranten, die aus dieser Region in andere Teile der Welt, einschließlich der reichen Länder, abgewandert sind, in Projekte investieren, die sowohl die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels als auch die wirtschaftliche Situation in den Heimatregionen verbessern.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Konfliktpotenzial von umweltbedingten Bevölkerungsbewegungen nicht geklärt ist (Warnecke et al. 2010, 1; Scheffran et al. 2012, 6). In einigen Fällen führt Umweltmigration zu Gewaltkonflikten, in anderen dagegen bleibt die Situation ruhig oder Migration kann zur Verminderung von Spannungen beitragen. Beides, Konflikt und friedliche Koexistenz, bleiben daher plausible Annahmen bei der Betrachtung großer Bevölkerungsbewegungen im Zuge einer durch den Klimawandel bedingten Umweltveränderung (Warnecke et al. 2012., 8). Die angenommene Kausalität zwischen Klimawandel, Migration und Gewaltkonflikten wurde insgesamt bisher nicht empirisch belegt, bleibt aber potenziell wichtig.

Autoren
Michael Brzoska
Prof. Dr. Michael Brzoska
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Universität Hamburg
Christiane Froehlich
Christiane Fröhlich
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Universität Hamburg
Referenzen, weiterführende Literatur