Zur Übersichtsseite "Dossiers"
11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Umweltinduzierte Migration: Eine wissenschaftliche Herausforderung

Trotz einer wachsenden Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Praxis ist unser Wissen über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration begrenzt. Über eine gemeinsame Definition des Phänomens hat man sich noch nicht geeinigt, so dass in der Literatur mehrere Begriffe nebeneinander existieren ("klimainduzierte Migration"; "Umweltmigration"; Migration als Anpassungsstrategie"). Eine gewisse Ambiguität in der Beschreibung des Problems behindert derzeit Bemühungen um effektive politische Antworten und Governance.

Fest steht, dass nicht alle Länder oder Gesellschaften Klima- und Umweltwandel gleichermaßen ausgesetzt sind. Sie verfügen auch über unterschiedlich große Fähigkeiten, mit Umweltstressoren umzugehen. Folglich hat es sich als unerlässlich erwiesen, die Verletzlichkeit einzelner sozio-ökologischer Systeme gegenüber dem Klimawandel zu bestimmen, bevor angemessen und zeitgerecht gehandelt werden kann. Derartige Aktivitäten benötigen effiziente Governance-Strukturen und flankierende soziale Transformationsprozesse müssen Staaten und Bevölkerung in die Lage versetzen, auf Vulnerabilitäten zu reagieren.

Die erste und wichtigste konzeptionelle Fragestellung, die bearbeitet werden muss, betrifft die Beziehung zwischen der Anpassung an Klima- und Umweltveränderungen und Migrationsbewegungen. Anfangs lag die Aufmerksamkeit vor allem auf Migration als einem Scheitern von Anpassung, als einer nachträglichen Art von Anpassung, nachdem alle anderen Möglichkeiten im Moment des Geschehens versagt hatten (beispielsweise im Falle von Naturkatastrophen großen Ausmaßes oder unumkehrbaren Klimaeffekten, wie dem Meeresspiegelanstieg, die existentiell bedrohlich sind). In diesem Fall ist Migration eine zwingende Folge von klar definierbaren Umwelt- oder Klimaveränderungen und überschneidet sich deutlich mit dem Begriff "Verdrängung" (displacement).

© Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC)

© Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC)


 Bildvergrößerung Disaster-induced displacement worldwide 2013

Eine Verbesserung der Forschungslage hat dazu beigetragen, die Migration aufgrund klimatischer und Umweltveränderungen umfassender zu verstehen. Zahlreiche Fallstudien haben inzwischen gezeigt, dass Migration - besonders in den südlichen Ländern - eine Art Anpassungsstrategie ist. Sie kann ex ante als proaktive Strategie zur Diversifikation der Einkommensarten dienen und die Widerstandskraft (Resilienz) von betroffenen Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen verbessern (Foresight 2011, ADB 2012, Warner & Afifi 2014). Deshalb wird der Zusammenhang zwischen Migration und Klima inzwischen zunehmend im Sinne eines "adaptation continuum" (Bardsley & Hugo 2010) gesehen. Dieses Kontinuum spannt sich von erzwungener Migration und Vertreibung bis zu den komplexen Folgen und Wechselwirkungen, die unterschiedliche Formen und Maßstäbe von Mobilität als Antwort auf Umwelt- und Klimaveränderungen mit sich bringen. Es handelt sich um eine weniger eindeutige, aber vorsorgende Form von Anpassung, die ein großes, noch weitgehend unausgeschöpftes Potenzial an möglichen Chancen birgt.

Das vorliegende Dossier soll den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration als "Problemfeld" vermessen, das heißt "ein lebensweltlicher Bereich (...), in welchem es Wissensbedarf bezüglich empirischer und praktischer Fragen gibt", weil die Wissensbasis noch unsicher ist und gegenteilige Wahrnehmungen der Problemstellungen existieren (Pohl & Hirsch Hadorn 2006).

Die erwähnte unsichere Wissensbasis rührt vor allem von der derzeitigen Konzentration her, die jeweiligen Umweltbedingungen, und dabei insbesondere den Klimawandel, als treibende Kraft für Migration von anderen Ursachen zu isolieren. Dieser Versuch bringt aufgrund der Komplexität von Migrationsentscheidungen erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Die klare Identifikation eines Umwelt"treibers" erscheint nur am einen Ende des "adaptation continuums" möglich und sinnvoll, nämlich dort, wo sich die Verdrängung - also "erzwungene Migration" - befindet.

Es ist eine extrem schwierige Aufgabe, Umweltbedingungen und andere Migrationsgründe auseinander zu halten. Unsere Fähigkeit, mögliche Migrationsbewegungen in zukünftigen Klimaszenarios zu modellieren oder vorherzusagen, ist ebenfalls extrem begrenzt und hat zu einer kontroversen Wahrnehmung des Problems geführt. Schätzungen von bis zu 200 Millionen "Klimaflüchtlingen", die für das Jahr 2050 vorausgesagt wurden (Myers 1993), haben Schlagzeilen gemacht und vorherrschende Bildwelten einer zukünftigen Welt befeuert, die von Flüchtlingen - vertrieben durch eine zunehmend feindliche und ressourcenarme Umwelt - überflutet würde. Diese Zahlen sind aber keineswegs zweifelfrei belegt. Zudem wird der Begriff "Klimaflüchtling" aus rechtlicher Perspektive ganz in Frage gestellt, wie Nash in diesem Dossier zeigt.
 Governance der Klimawandel-bedingten Migration

Da die "klimainduzierte Migration" von verschiedenen wissenschaftlichen Communities (von der Forschung zu Risiko- und Katastrophenvorsorge, über die Migrations- und Entwicklungsforschung bis zur Klima- und Umweltforschung) thematisiert wird und jede durch ihre spezielle Fachbrille schaut, fehlen holistische und integrierte Einschätzungen, die für die Gestaltung von Politik und zukünftigen Wissensaufbau unerlässlich sind. Das vorliegende Dossier stellt deshalb Beiträge aus verschiedenen Bereichen zusammen, um das "Problemfeld" von Klimawandel und Migration umfassend auszuleuchten.